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Le Mur: Keep Your Fear Away From Me (Review)

Artist:

Le Mur

Le Mur: Keep Your Fear Away From Me
Album:

Keep Your Fear Away From Me

Medium: CD/Download/Limitiert/LP farbig/LP+DL-Code
Stil:

Artrock somewhere between Jazz and Noise, Heavy Dark Trip Rock

Label: Eigenproduktion
Spieldauer: 47:56
Erschienen: 28.04.2023
Website: [Link]

„gebt dem thoralf doch noch mehr drogen, dann schreibt er das nächste review vielleicht in seiner eigenen erfundenen sprache.“ (Gästebuch-Kommentar von Jay zu meiner Review von „In Tenebris“)

„Mir selber reicht die Droge Musik vollkommen. Und bei LE MUR wirkt sie ohne alle Angstgefühle ausgezeichnet.“ (Antwort des komplett unbekifften und zugleich total nüchternen Kritikers, der hier schon so viel verrät, dass die LE MUR-Droge auch bestens bei „Keep Your Fear Away From Me“ wirkt!)

„Die Wahrheit ist ein Land ohne vorgegebene Wege.“ (Jiddu Krishnamurti – Grundlage für das Konzept hinter „Keep Your Fear Away From Me“)

Wer sich auf LE MUR einlässt, der sollte mit sich selber im Reinen sein und die Welt, welche ihn umgibt, gerne hinterfragen statt nur hinzunehmen. Hinnehmen oder Stillstand ist sowieso nicht das Ding der drei Bochumer, die sich und ihre Musik nur zu gerne mit ihrer Heimatstadt vergleichen (wobei sie nicht die Bohne was mit Herbert Grönemeyer gemein haben) und dabei mit den Worten ihres Schlagzeugers Georgios Dosis feststellen: „Manchmal psychedelisch, manchmal metallisch, überwiegend düster und … mehrsprachig! So wie das Ruhrgebiet selbst, dessen Kinder wir sind und welches mit seinen facettenreichen Sounds genug Platz für Inspiration und Stimulation lässt; Die Sounds der schweren Industriemaschinen geben den Beat und den Klang der Autobahn … mittlerweile wie das Meeresrauschen in unseren Ohren.“
Kein Wunder also, dass „Keep Your Fear Away From Me“, der schwere Nachfolger der abgeschlossenen LP-Trilogie „Silentia Nova“ (2013) / „In Tenebris“ (2014) / „Exorta“ (2019), nicht etwa auf dräuende metallische Industrie-Sounds, sondern oft auf Naturgeräusche und akustische Instrumente setzt. Doch nicht nur das...

Was die Bochumer bisher in ihre eigene Musik-Schublade unter den Begriff 'Heavy Dark Trip Rock' schoben, erhält auf Album Nummer 4 anno 2023 völlig neue Dimensionen, die sich grob umrissen zwischen elektronischer Musik der Marke TANGERINE DREAM, freien akustisch-progressiven Jazz der Marke MILES DAVIS bis hin zu dunklem Post Rock zwischen DEAD CAN DANCE und MOGWAI bewegt und dabei auch noch einem außergewöhnlichen Konzept folgt, welches sich historisch und philosophisch um die eigene innere Freiheit und das Überwinden gesellschaftlich geschürter Ängste dreht.

LE MUR widmen sich also auf ihrer vierten LP nicht mehr dreiteilig der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, sondern unter dem Titel „Keep Your Fear Away From Me“ (streng auf 300 handnummerierte, orangefarbene Vinyl-Exemplare limitiert) der Freiheit des eigenen Ichs, das sich allerdings wiederum an den besagten Zeitformen orientiert, die zuvor über drei LP's hin abgedeckt wurden. Hierbei haben sie für den aufmerksamen Hörer nicht etwa eine allgemeine Botschaft parat, dafür aber einen Grundsatz, der ein wenig überspitzt etwa so lauten könnte: Lasst uns mit euren herbeigeredeten Ängsten in Ruhe und klebt euch im Notfall euren immer den Andersdenkenden und Andersmeinenden präsentierten, angstschürenden Stinkefinger genau dahin, wo er hingehört: Nämlich zwischen zwei Backen, die sich nicht in eurem Gesicht befinden...

...und lasst uns dieses erneut meisterhafte, aber auch kompliziert zu erfassende, 180 Gramm schwere Musikkunstwerk genießen, denn es ist jede einzelne offenohrige Sekunde wert. Hierbei führt es uns trotz solcher Übertitel wie „Praeterium“, „Praesentium“ und „Futura“ nicht durch die hohe Kunst lateinischer Grammatik, sondern durch eine Musikwelt, die LE MUR völlig zurecht selber als 'Artrock somewhere between Jazz and Noise' beschreiben.

Womit wir neben der schwer zu beschreibenden – weil extrem abwechslungsreichen, sich oftmals zudem finster ausbreitenden und an der Hörer-Psyche rüttelnden – Musik auch schon beim Thema wären, das nicht nur als konzeptionelle Grundlage dient, sondern die reale (längst im Jahr 1986 verstorbene) Person, die im Zentrum dieses Konzepts steht, zugleich mehrfach zu Wort kommen lässt: Jiddu Krishnamurti – der indische Philosoph und 'Weltlehrer' (werden im Buddhismus als 'Verkünder von Freiheit, Liebe, Güte und Freundschaft' verstanden).

Jiddu Krishnamurti warf in seinem Handeln oftmals die spirituelle Frage auf, wie man beispielsweise durch Meditation, aber auch mit religiösen oder philosophischen Mitteln, zur völligen inneren geistigen Freiheit gelangt. Eigentlich sollte er Anfang des 20. Jahrhunderts in Indien als ein großer neuer Messias aufgebaut werden, der sich aber – ausgelöst durch den unerwarteten Tod seines Bruders – immer stärker von dem übersinnlichen Glauben entfernte und sich dem philosophischen Glauben an die totale innere Freiheit und Wahrheit hingab: „Ich behaupte, dass die Wahrheit ein unwegsames Land ist und dass es keine Pfade gibt, die zu ihr führen – keine Religion, keine Sekten. Die Wahrheit ist grenzenlos...“

Und dass diese Freiheit eben auch eine Befreiung von den eigenen Ängsten bedeutete, davon handelt zugleich das Konzept hinter dem aktuellen LE MUR-Album, das – um diese Absicht mit aller Deutlichkeit zu verinnerlichen – im Rahmen der fast 50 Musikminuten, neben dem Gesang von Matthias Gräf, vordergründig auf Originalzitate – direkt von Krishnamurti gesprochen (und durch die englische JK Foundation offiziell gestattet) – des indischen, lange Zeit als Gottheit verehrten, Philosophen (1895 – 1986) zurückgreift. Es geht um Selbstverantwortung statt dem Folgen von Lehren, welche Andere verbreiten oder als Lebensgrundsatz vorgeben. So sollte beispielsweise auch Bildung sich nicht in erster Linie auf das Wiedergeben von altbekannten Lehren, sondern auf das Ergründen des Sinns dahinter verstehen. Erkenne ich also eine fremde Weisheit oder Wissenschaft und beziehe diese auf die daraus resultierenden Folgen für mein eigenes Ich, ist das mehr wert, als ein auswendiges Wiedergeben der fremden Erkenntnis, weil die Ursache aller Konflikte auf dieser Welt – im Großen wie im Kleinen – in der Überbetonung des eigenen Ichs, des Egoismus' und der Gier liegt. So werden Ängste geschürt... (Okay, spätestens jetzt wird sich unser Gästebuch-Kommentator Jay sicher wieder zu Wort melden wollen…).

Schon diese Ansicht ist komplex und konträr (so sehr man auch Klarheit und Gradlinigkeit schätzt) – genauso wie der Versuch von LE MUR, durch die verschiedenen musikalischen Ansätze zwischen Rock, Jazz und Electronic den Zwiespalt zwischen Sein und Handeln auszudrücken – dem Inhalt der Krishnamurti-Worte den klangvollen Sinn mit der Macht der eigenen Instrumente und den original-gesprochenen Worten des indischen Philosophen zu verleihen, der garantiert nicht jedem zusagt, dafür aber wortwörtlichen Freigeist herausfordert.

Wie mit den überschwänglichen Qualitäten der Musik, aber auch des Cover-Artworks von Giannis Bachlavas, ein dermaßen schwieriges Konzept gesamtheitlich verwirklicht wird, darin liegt LE MURs Stärke auf „Keep Your Fear Away From Me“.

FAZIT: „Keep Your Fear Away From Me“ ist ein weiterer Beweis dafür, wie wichtig LE MUR seit bereits 15 Jahren neben ihrer Musik (In eigenen Worten: Heavy Dark Trip Rock' in den Anfängen und nun 'Art Rock somewhere between Jazz and Noise' in der Gegenwart) ganz speziell auch das Konzept hinter jedem ihrer nunmehr vier Alben ist. Ein besonders schweres Thema – die unnötigen psychologischen Ängste innerhalb unserer Gesellschaft – dient dem Bochumer Art-Rock-Trio diesmal als Grundlage für ihr 2023er-Album, das sich der abgeschlossenen Trilogie ihrer ersten drei Alben – „Silentia Nova“ (2013) / „In Tenebris“ (2014) / „Exorta“ (2019) – anschließt. Bereits das der LP (+ DL-Code) beiliegende Begleitblatt, auf dem Schlagzeuger Georgios Dosis ausgiebig und detailliert (inklusive dem Abdruck aller Sprach- und Gesangspassagen) nicht nur die textliche Thematik, in der es um den gotthaft verehrten sowie die absolute Freiheit des eigenen Ichs preisenden, indischen Philosophen Jiddu Krishnamurti geht, sondern auch deren musikalische Verwirklichung betrachtet, lässt dies erkennen. Die oft dunkel anmutende Musik (Artrock?! Jazz?! Progressive Rock?! Space Rock?! Electronics?! Kraut?!, Alternative?!...) von „Keep Your Fear Away From Me“ klingt völlig anders als die helle Farbfreude, die einen anlacht, wenn man das streng auf 300 Exemplare limitierte und von Hand nummerierte orangefarbene Vinyl aus der Plattenhülle nimmt, deren düstere Gestaltung allerdings schon als stimmungsmäßiger Gegenpol darauf verweist, dass wir auf diesem 'Angstalbum' wohl ein musikalisches und (inhaltliches) Wechselbad der Gefühle erleben werden. Keine Angst – das Album packt einen und lässt einen nicht mehr los. Wer allerdings zu den 'Nebenbeihörern' gehört, darf gerne seine Ängste (Oder Entsetzen?) auch weiterhin auf die traurige Radiolandschaft unserer öffentlich-rechtlichen Gegenwart fokussieren statt seine musikalischen Gedanken philosophisch einerseits in Richtung Indien und andererseits der eigenen Angstbewältigung abschweifen zu lassen.

Thoralf Koß - Chefredakteur (Info) (Review 1946x gelesen, veröffentlicht am )

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Tracklist:
  • Seite A (24:26):
  • praeteritum:
  • ...the past will be perfect… (15:00)
  • praesentium:
  • today is the day/the beautiful of now (9:26)
  • Seite B (23:30):
  • another life/burning the tree/I see you (11:18)
  • futura:
  • ...for the puzzles of the future (12:12)
  • part I: digital tears
  • part II: there is no sky for us
  • part III: peaceful orient and righteous west
  • part IV: keep your fear away from me

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